Organisationen der neuen Zeit

 “Organisationen der neuen Zeit” – schon allein die Begrifflichkeit lädt dazu ein, über grundlegende Paradigmenwechsel und die Rolle von Organisationen in einer sich wandelnden Welt nachzudenken. Für mich, basierend auf dem, was Menschen in den letzten Jahrzehnten an Prinzipien, Werten und Modellen für Organisationen entwickelt haben, spricht dieser Begriff eine radikale Neuausrichtung von Zusammenarbeit und Sinn an. Es geht hier nicht mehr (nur) um Effizienz, Hierarchien oder Kontrolle, sondern um etwas viel Tieferes: Verbindung, Sinnhaftigkeit und kollektive Intelligenz.

1. Ein Zweck, der über Profit hinausgeht

Organisationen der neuen Zeit zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur Wirtschaftseinheiten oder reine Produktionszentren sind. Sie existieren nicht bloß, um Gewinne zu maximieren, sondern fokussieren sich auf tiefere, oft gesellschaftliche oder ökologische Wirkungen.

Sie sind auf Sinnstiftung ausgerichtet: Der “Purpose” (Zweck) der Organisation ist größer als nur Effizienz oder Wachstumsstreben. Diese Organisationen fragen nicht nur „Was tun wir?“, sondern auch „Warum tun wir es?“ und „Welchen langfristigen Wert schaffen wir?“, wobei es darum geht, wirklich positive Beiträge für Gesellschaft, Umwelt und das größere Ganze zu leisten.

Beispiel: Ein Unternehmen, dessen Zweck die Herstellung von Büromöbeln ist, mag weiterhin Gewinne erzielen, setzt jedoch seinen Erfolg nicht nur finanziell, sondern auch ökologisch, gesundheitlich und gesellschaftlich in Bezug. Hier liegt eine Ethik zugrunde, die Zusammenhänge berücksichtigt und dem Wohle aller Beteiligten und der Erde dient

2. Neue Macht- und Entscheidungsstrukturen

Die meisten klassischen Organisationen der „alten Zeit“ basieren auf strengen Hierarchien und zentralisierten Entscheidungsmodellen. Organisationen der neuen Zeit hingegen fragen: Wie können Entscheidungen dezentralisiert und kollaborativ getroffen werden, sodass die Schwarmintelligenz der Gruppe vollständig genutzt wird? Wie kann Macht durch geteilte Verantwortung ersetzt werden. Somit weisen sie folgende Merkmale auf:

  • Selbstorganisation: Entscheidungen werden nicht mehr von wenigen Führungspersonen getroffen. Stattdessen übernimmt jedes Teammitglied – oder jede Einheit – Verantwortung für ihren jeweiligen Bereich.
  • Flache Hierarchien und dynamische Rollen: Die Strukturen sind flexibel, fluid und passen sich an die Bedürfnisse der Organisation an, statt in starren Hierarchiemodellen verharren zu müssen.
  • Vertrauen statt Kontrolle: Anstelle von Führung und Management von oben regieren Vertrauen und Autonomie.

Beispiel: Schwarmorganisation ist ein Modell der „neuen Zeit“. Hier gibt es keine dauerhaften Posten oder Funktionen – Rollen und Verantwortlichkeiten werden dynamisch an den Bedarf angepasst.

 

3. Menschenzentriert und sinnorientiert

Organisationen der neuen Zeit stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Sie erkennen, dass Mitarbeitende nicht nur Arbeitskräfte, sondern ganze Menschen sind – mit Gefühlen, Bedürfnissen und einzigartigen Potentialen.

Folgende Prinzipien stehen hier im Fokus:

  • Selbstentwicklung: Menschen dürfen bei dem, was sie tun, ganz sie selbst sein – mit ihrer Kreativität, ihren Gefühlen, aber auch ihren Schwächen. Das Team profitiert von diesen Facetten, anstatt sie zu unterdrücken.
  • Potenzialentfaltung: Organisationen der neuen Zeit arbeiten aktiv daran, die individuellen Talente und Potenziale ihrer Mitglieder zu fördern. Arbeit wird nicht nur als Mittel zum Zweck angesehen, sondern auch als Teil des individuellen Wachstumsweges.
  • Work-Life-Integration: Es geht nicht mehr um die strikte Trennung von Arbeit und Leben, sondern um die möglichst harmonische Integration beider Bereiche.

Beispiel: Teal-Organisationen (nach Frederic Laloux) schaffen Räume für persönliche Entfaltung – Arbeit ist hier nicht bloß ein Job, sondern ein bedeutungsvoller Teil des Lebens.

4. Nachhaltigkeit und Verantwortung

Eine Organisation der neuen Zeit denkt und handelt nicht isoliert. Sie sieht sich als Teil eines größeren Netzwerks – sei es der Gesellschaft, der regionalen und globalen Wirtschaft oder des Ökosystems. Es gibt ein tiefes Bewusstsein darüber, dass jede Handlung Konsequenzen hat – und dass es die moralische Pflicht der Organisation ist, alle Dimensionen zu berücksichtigen.

  • Ökologische Verantwortung: Der Fokus liegt auf regenerativen, statt nur nachhaltigen Ansätzen (d. h., nicht nur weniger Schaden anrichten, sondern aktiv verbessern).
  • Gesellschaftliche Verantwortung: Organisationen der neuen Zeit streben danach, soziale Gerechtigkeit zu fördern und Konflikte wie Ungleichheit oder Ausgrenzung aktiv zu adressieren.

Beispiel: B-Corps (Benefit Corporations) kombinieren wirtschaftlichen Erfolg mit gemeinnützigen Zielen und verpflichtet sich, umfassend nachhaltig zu handeln.

 

5. Kollektive Intelligenz und Partizipation

Organisationen der neuen Zeit erkennen an, dass die beste Lösung nicht von einem Einzelnen kommt, sondern in der Weisheit der Gruppe liegt. Sie fördern kollektive Intelligenz durch:

  • Partizipation: Jedes Mitglied wird ermutigt, sich einzubringen.
  • Empathie und Feedback: Fehler werden nicht bestraft, sondern als natürliches Element des Lernens integriert. Feedback-Schleifen sind essenziell für kontinuierliche Verbesserung.
  • Vielfalt und Interdisziplinarität: Unterschiedliche Perspektiven werden geschätzt, weil sie Innovation und Kreativität fördern.

Beispiel: Schwarmorganisationen basieren auf diesen Prinzipien und sind darauf ausgelegt, dass alle Handlungen gegenseitig verstärkend wirken.

 

6. Spiritualität: Verbindung und Bewusstsein

Ein spannender, manchmal unterschätzter Aspekt ist, dass „Organisationen der neuen Zeit“ oft eine spirituelle Dimension in sich tragen – unabhängig davon, ob diese formell anerkannt oder klar ausgedrückt wird.

  • Es geht darum, wie die Organisation eine tiefere Verbindung mit ihrem Zweck, den Menschen und der Welt schafft.
  • Bewusstheit durchdringt den Organisationsprozess: Entscheidungen werden im Sinne des Ganzen getroffen, nicht nur mit Blick auf den kurzfristigen Nutzen.

Beispiel: Einige Bewegungen in der neuen Arbeitswelt (z. B. „Conscious Capitalism“) zielen explizit darauf ab, spirituelle Werte wie Mitgefühl, Achtsamkeit und Verantwortung in die Wirtschaft zu integrieren.

7. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Eine Organisation in der neuen Zeit erkennt die Schnelllebigkeit und Unvorhersehbarkeit der heutigen Welt an und reagiert darauf mit Flexibilität:

  • Anpassung an Wandel: Statt starren Plänen zu folgen, entwickelt sich die Organisation organisch mit den Gegebenheiten.
  • Lernende Organisation: Die Organisation selbst ist nie „fertig“, sondern in einem ständigen Prozess des Wachstums und Lernens.

 Beispiel: Agilität in der Softwareentwicklung ist ein Sinnbild für diese Dynamik, aber dieses Prinzip breitet sich zunehmend auch in anderen Organisationsformen aus.

Zusammenfassung


Organisationen der neuen Zeit sind gemeinschaftliche Systeme, die nicht auf Kontrolle, Macht oder Effizienz ausgerichtet sind, sondern auf Sinnstiftung, Verbundenheit, kollektive Intelligenz und Nachhaltigkeit. Sie zeigen auf, dass Arbeit und Organisation nicht bloß Werkzeuge des Profits sind, sondern Ausdruck menschlicher Kreativität, Kooperation und moralischer Verantwortung.

Sie streben danach, eine Balance zu schaffen zwischen Individualität und Gemeinschaft, Autonomie und Verbundenheit sowie Wachstum und Verantwortung – und leben die Erkenntnis, dass Organisationen immer auch Resonanzräume für Menschlichkeit sein können.

 

Was denkst du über diese Perspektive? Gibt es einen Aspekt der „neuen Zeit“, den du besonders wichtig findest oder anders definieren würdest?

Ein Artikel von Christiane Lüpken, Coach für Selbstentwicklung & Selbstorganisation: www.christiane-luepken.com

Ein Beispiel für eine solche Organisation der neuen Zeit findet ihr hier in diesem Portrait über die Economy Transformers.