Abschied vom Gehorsam

Psychiater Maarten Ghysels prognostiziert eine „große Umkehr“: „Die Machtspyramide steht kurz vor dem Einsturz“

Wir stehen am Vorabend einer weltweiten Revolution. Das pyramidenförmige Machtsystem wird Platz machen für eine freie menschliche Gesellschaft. Diese optimistische Botschaft vermittelt der flämische Psychiater und Autor Maarten Ghysels mit seinem Projekt „Die große Umkehr“. „Demonstrationen sind nicht nötig. Wenn die Menschen an der Basis ihre wahre Natur erkennen, stürzt die Pyramide von selbst ein.“

Der flämische Psychiater Maarten Ghysels (1951) wurde in Maastricht klassisch als Paartherapeut und Sexualwissenschaftler ausgebildet. Danach entwickelte er sich zum körperorientierten Psychotherapeuten. In seiner Praxis in Kaatsheuvel behandelt er seit mehr als vierzig Jahren Patienten, ohne ihnen Medikamente zu verschreiben. Außerdem ist er Autor von sieben Büchern über Glücklichsein, Sexualität, Elternschaft und die Machtstrukturen, die die Evolution des Menschen bremsen. Dieses letzte Thema ist Gegenstand seines aktuellen Buches „Neun Umkehrungen“. Über dieses Buch fand er seinen Weg zur Society 4.0 Academy, ein Projekt der Society 4.0 Bewegung von Bob de Wit. Die Academy beginnt am 22. September mit ihrer ersten Ausbildung „Levenskunde“ (Lebenslehre). Diese basiert zum Teil auf den Gedanken von Ghysels. Menschen können sich dort auf akademischem Niveau zum Bewusstseinstrainer weiterbilden. „Das ist jemand, der auf seine innere Autorität vertraut und sich nicht knechten lässt“, sagt Ghysels.

 

Seiner Ansicht nach sind schon sehr viele Menschen auf diesem Weg unterwegs. Er blickt daher hoffnungsvoll auf die Zukunft. „Wir machen einen Bewusstseinssprung“, erzählt er der Zeitung „De Andere Krant“ an einem Sommertag im Garten seiner Villa in Beerse, „von Mensch 3.0 zu 4.0. Von geknechtet zu frei, gleich und gemeinsam.“ Er berichtet, dass er die „große Umkehr“, über die er schreibt, selbst erlebt hat. Den Keks, den er zum Mund geführt hat, legt er wieder auf das Tellerchen neben seiner Kaffeetasse zurück. „Irgendwann konnte ich nicht mehr schlucken. Das hat ein Jahr gedauert. Mein Körper signalisierte: Es kann nichts mehr dazukommen, was von außen kommt. Es ist Zeit, auf deine Innenwelt zu hören.“

Die Entwicklung, die er durchgemacht hat, lehrte ihn, seine innere Autorität zu erkennen. „Wir alle haben gelernt, in unserem Kopf zu leben, und daher sind wir nach außen gerichtet. Wir sind voll von allerlei falschen, zerstörerischen Überzeugungen wie: ich bin keine Liebe wert, wenn ich mich mehr anstrenge, werden meine Eltern mich lieben, ich bin schlecht, und so weiter. Wir leiden an einem kollektiven Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der Macht außerhalb von uns.“ Für Ghysels geht es darum, die Muster zu erkennen, die dich im Hier und Jetzt belasten, und sie zu verlassen. „Wir werden als vollständige Wesen geboren. Wie ein lebendig fließender, innerer Bergfluss beginnen wir unser Leben. Der Schock der ersten Jahre stört den Fluss. Der Fluss wird verschmutzt, es entstehen Blockaden. Dadurch geraten wir völlig aus dem Gleichgewicht. Ohne dass wir es merken, baut unser Bewusstsein Panzerschichten auf. Dadurch fühlen wir weniger gut. Darin liegt die Chance zur Umkehr. Du kannst diese Blockaden mit bewusster Aufmerksamkeit auflösen. So lernst du wieder zu fühlen, und dann kommen die ursprünglichen Werte wieder zum Vorschein: Kraft, Liebe, Gleichwertigkeit, Teilen, Geben, Unterstützung, Respekt für die Eigenarten und Grenzen eines jeden, Vertrauen, Verbundenheit, Freiheit, innerer Kompass, inneres Leadership, verbunden mit der menschlichen Natur, innerlich erfüllt.“

 

In seiner Praxis sah Ghysels, dass der Großteil der Beschwerden auf einen Mangel an bedingungsloser Selbstliebe zurückzuführen ist. Geistige Erkrankungen entstehen überwiegend aus Konflikten mit dem Selbstwert. „Dass immer mehr Menschen schon in immer jüngerem Alter zusammenbrechen, ist in gewisser Weise auch ein gutes Zeichen. Sie halten das gegenwärtige System nicht mehr aus. Sie geraten immer schneller in ein Burn-out. Das ist eine Chance, die Entfremdung von ihrer Innenwelt rückgängig zu machen.“

Ghysels ist überzeugt, dass die individuelle Entwicklung, die viele durchmachen, letztlich die Gesellschaft grundlegend verändern wird. „Das ist genau das, was passieren wird. Eine Revolution von innen heraus. Wir werden Abschied nehmen von der Hierarchie. Das Ende von tausenden Jahren Machtgesellschaften naht. Niemand muss dafür auf die Barrikaden gehen, um gegen das Alte zu kämpfen. Wer wird schon gegen die Aufstellung einer Ampel an einem Weg demonstrieren, der in den Abgrund führt? Es geht um ein groß angelegtes Bewusstwerden. Wir müssen unsere Unterwürfigkeit ablegen.“

 

Wie kann er sich so sicher sein, dass es in diese Richtung geht? Ghysels: „Wenn du einmal beginnst, Licht auf die Dunkelheit zu werfen, verschwindet sie. Die Dunkelheit ist machtlos gegenüber dem Licht. Das ist ein Naturgesetz. So schrumpfen auch Kontrolle und Unterdrückung, wenn das Volk zu leuchten beginnt. Trotz alledem sind wir von innen lebendige und liebevolle Menschen. Wir wollen alle friedlich und harmonisch zusammenleben. Wenn wir erfüllt leben, haben wir keinen Bedarf mehr, Macht über andere auszuüben, und lassen uns auch nicht mehr knechten.“

Nach Ghysels wird die politische Machtstruktur zusammenbrechen, sobald die Masse lernt, nicht mehr unterwürfig zu sein. „Die psychologischen Waffen der Politik beziehen ihre Kraft aus dem Gehorsam der Masse. Diese Haltung ist Folge jahrhundertelanger Indoktrination.“

 

Diese Unterwürfigkeit sei im kollektiven Unterbewusstsein durch das Christentum tief verankert, so Ghysels. Es sei das eindringlichste Machtssystem in der westlichen Welt. „Die Kirche hat sich seit dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 die Macht über die Außen- und Innenwelt angeeignet. Von unserer Geburt bis über unseren Tod hinaus wurden wir kontrolliert. Wir haben uns davon nur teilweise befreit. Unser kollektives Unterbewusstsein ist noch immer durch diese zerstörerische Moral geprägt.“ Ghysels unterscheidet dabei zwischen dem Christentum und dem Christusbewusstsein. Letzteres biete den Menschen die Möglichkeit, ihre Angst abzulegen und in Harmonie und Frieden zu leben. „Das Christusbewusstsein ist ein für jeden erreichbarer Bewusstseinszustand, der aus bedingungsloser Liebe entsteht.“

 

Seit mehr als 5000 Jahren leben wir in Machtgesellschaften, sagt Ghysels. „Dort gilt das Recht des Stärkeren und Zerstörerischeren. Das Land mit der größten Vernichtungskraft ist der Herrscher der Welt. Dadurch leben wir in einer pyramidenförmigen Machtstruktur. Jeder will so hoch wie möglich auf der gesellschaftlichen Leiter stehen. Das System basiert auf Macht und Ohnmacht, Kontrolle und Unterdrückung, Belohnung und Bestrafung: Nach oben lecken und nach unten treten.“ Die Umwälzung, die wir jetzt durchmachen, ist daher groß. „Unsere Führungskräfte sind auch nur verletzte Kinder. Sie zeigen uns so viele Karikaturen der Ohnmacht. Ihre einzigen Mittel sind Kontrolle und das Schüren von Angst. Je mehr Menschen das durchschauen, desto eher ist es vorbei.“

 

Den Prozess, der die Pyramide zum Einsturz bringt, sieht er schon vor sich. „Sobald die unterste Schicht in Harmonie und Frieden lebt, schmilzt sie dahin. Liebe ist der Motor. Wenn Eltern, die ihren alten Ballast aufgeräumt haben, Kinder bekommen, müssen sich diese Kinder nicht von sich selbst entfremden – so wie es im 3.0-Zeitalter geschah. Sie können sich bedingungslos lieben und ein Mensch 4.0 werden. Sie geben diese Haltung an ihre Kinder weiter. Diese werden alle an der Gesellschaft teilnehmen, ohne nach Macht zu streben oder sich knechten zu lassen. Sie leben aus ihrer inneren Größe. So werden noch mehr Schichten schmelzen. Dies ist die innere Revolution, die die Machtstrukturen zum Implodieren bringt – eine sanfte Revolution.“
 

Originalartikel aus “De andere Krant”: https://deanderekrant.nl/afscheid-van-de-volgzaamheid/

Mit Society 4.0 inspirieren, verbinden und unterstützen wir Initiativen, die an einer hoffnungsvollen Zukunft bauen. Dieser Artikel gibt eine von verschiedenen möglichen Sichtweisen auf den Bereich Mensch 4.0 wieder.
Ein herzliches Dankeschön an Paul van Schaik (Koordinator Mensch 4.0)  und Maarten Ghysels. 

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